Zwischenruf:
Braunschweig – Stuttgart: 498 km
Das ist laut Google die Entfernung zwischen diesen beiden Städten,
im Auto zu überbrücken in 4 Stunden und 39 Minuten. Gegenwärtig aber
scheinen diese Orte in verschiedenen Welten und Zeitaltern zu liegen. In
Stuttgart haben sich nach heftigen Protesten die Gegner im Kampf um die
Zukunft des Hauptbahnhofs in 9 Schlichtungsrunden mit dem Schlichter
Heiner Geißler zusammengesetzt. Trotz eindeutiger formaler Rechtslage
zugunsten des Bahnhofsumbaus und trotz der Unvereinbarkeit der
Positionen drückte sich so in Gesprächen der Respekt vor der Meinung des
Andersdenkenden aus. Der Schlichterspruch Geißlers kann als Beispiel
gelebter „Graswurzel“-Demokratie verstanden werden, gerade weil sich
keine Partei als Sieger fühlen kann und alle dazugelernt haben.
Bild: 2. Abholzungsphase: die beiden gelb gerahmten inneren Felder
kennzeichnen die schon abgeholzten Gebiete, der äußere rote Rand die
jetzt zu fällenden/kappenden Flächen
In Braunschweig und in besonders in Waggum sieht die Welt ganz anders
aus. Seit dem 1. Dezember fallen wieder Bäume und mit ihnen ein
hochgeschütztes Flora- und Fauna-Reservat dem im Januar begonnenen
Ausbau des Flughafens zum Opfer. Über 300 mal haben Bürgerinnen und
Bürger friedlich gegen diese für sie ökologisch und ökonomisch
unsinnige Maßnahme protestiert. Mehrfach hat die Kirchengemeinde auch
mit Unterstützung von Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber sich als
Gastgeber für Gespräche angeboten, damit sich die unterschiedlichen
Meinungen auf Augenhöhe begegnen können.
Das Rathaus hat alle Gesprächsbitten kategorisch abgelehnt. Statt dessen
wurde mit hoher Polizeipräsenz und mit Strafanzeigen gegen friedliche
Demonstranten reagiert. Die Benutzung eines Megaphons auf offenem Feld
(!) wurde beispielsweise nicht nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als
Straftat geahndet und ein einzelner Aktiver deshalb zu einer
fünfstelligen Geldstrafe verurteilt, die gleichzeitig als Vorstrafe
gilt: Einschüchterung statt Dialog.
Braunschweig und Stuttgart: Zwei Welten im Dezember 2010. Demokratische
Konfliktkultur ist in der Hauptstadt Baden-Württembergs zu besichtigen.
Braunschweig wartet darauf bisher vergeblich.
K.D.